Kosmopolitischer oder kommunitaristischer Neoliberalismus? – Die Dialektik des Kapitalismus

Die vorgezogenen Bundestagswahlen, die am 23. Februar stattfanden, wurden als die wichtigsten Wahlen seit Ende des kalten Kriegs bezeichnet und tatsächlich war die Wahlbeteiligung sehr hoch. 85% der wahlberechtigten Bürger gaben ihre Stimme ab. Davon stimmten 28.5% für die CDU/CSU, 20.8% für die AfD, 16.4% für die SPD, 11.6% für die Grünen und 8.8% für die Linken. BSW und FDP scheiterten an der 5% – Hürde.

Kosmopoliten und Kommunitaristen

Es gab bei diesen Wahlen nur eine einzige bedeutende Konfliktlinie. Der Gegensatz zwischen einem kosmopolitischen und einem kommunitaristischen Neoliberalismus. So definiert der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel die Kosmopoliten wie folgt: „Wenn wir von Kosmopoliten sprechen, sprechen wir von Personen in unserer Gesellschaft aber auch in anderen westlich entwickelten Gesellschaften, von Personen, die den Nationalstaat für überholt erklären, die als Bezugspunkt ihres gesellschaftlichen Denkens gewissermaßen den Kosmos, oder wenn Sie so wollen den Globus, die Welt sehen. Grenzen sind etwas von gestern und es gebietet geradezu ein moralisches Denken, diese nationalstaatlichen Grenzen zu überwinden“. Die Kommunitaristen zerfallen in zwei Gruppen. Die einen betonen die Gemeinsamkeit, setzen sich für Schwächere ein und befürworten, so Merkel, „einen starken Sozialstaat“ sowie „sichere Grenzen“. Die anderen sind „Nationalisten … argumentieren ethnisch“ und sehnen sich „nach ethnischer Homogenität und Ausgrenzung der Anderen“.

Kosmopolitischer und kommunitaristischer Neoliberalismus

Das neoliberale Paradigma lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: Der freie Markt regelt alles und dem Staat fällt lediglich die Aufgabe zu, den freien (deregulierten) Markt mittels des staatlichen Gewaltmonopols zu ermöglichen. Alle Neoliberalen stimmen darin überein, dass nur eine privatisierte Welt eine freie Welt ist. CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke und FDP sind Vertreter des kosmopolitischen Neoliberalismus. Man gibt sich weltoffen, spricht gerne von Diversität in Bezug auf sexuelle Orientierung, Ethnie und Lebensentwürfen, will den Nationalstaat überwinden, favorisiert eine offene Gesellschaft, die weitgehend frei von staatlichen Regulierungen ist, will den Sozialstaat auf ein Mindestmaß beschränken (jeder ist seines Glückes Schmied) und betont den freien Welthandel, der aber nur mit „offenen Gesellschaften“ möglich sei. Der Unterschied zwischen reich und arm ist irrelevant geworden, der laut Oxfam in den neoliberalen westlichen Ländern immer größer geworden ist. Sollte dieser Unterschied für Grüne oder Sozialdemokraten ein Wahlkampfthema sein, spielt er nach den Wahlen keine Rolle mehr.
Die AfD vertritt den kommunitaristischen Neoliberalismus in seiner nationalistischen Ausprägung. So betont sie die deutsche abendländische christliche Kultur (Beatrix von Storch), hebt die eigene ethnische Homogenität (Migranten passen laut AfD nicht in die eigene christlich geprägte abendländische Kultur) hervor und setzt sich für das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft ein, indem sie die Standortbedingungen der deutschen Unternehmen verbessern will, um eine Abwanderung zu verhindern. Die Sanktionierungen gegen Russland hält sie für selbstzerstörerisch und will versuchen, die Deindustrialisierung Deutschlands zu verhindern. Die soziale Absicherung soll auf ein Mindestmaß beschränkt werden und natürlich widerspricht das Bürgergeld dem bürgerlichen Leistungsprinzip, das die AfD vehement vertritt. Das BSW gehört zur anderen Gruppe der Kommunitaristen und strebt einen sozialen Kapitalismus an. Die traditionellen sozialdemokratischen Wertvorstellungen (starker Sozialstaat und Friedenspolitik) sind für das BSW von herausragender Bedeutung und dem wirtschaftlichen Neoliberalismus wird eine Absage erteilt.

Dialektik des Kapitalismus

Es fällt auf, dass für alle Parteien der Kapitalismus unhinterfragbar geworden ist. Er ist zur Institution geworden und wird als soziale Wirklichkeit wahrgenommen. Von herausragender Bedeutung ist allerdings die Sichtbarwerdung der Dialektik des Kapitalismus. Sie zeigt sich in dem Gegensatz zwischen kosmopolitischen und kommunitaristischen Neoliberalismus in seiner nationalistischen Ausprägung. Der bislang vorherrschende kosmopolitische Neoliberalismus gerät zunehmend unter Druck des nationalistischen kommunitaristischen Neoliberalismus, während der traditionelle wohlfahrtsstaatliche Kapitalismus (Ordoliberalismus) zunehmend bedeutungslos wird. Der nationalistische kommunitaristische Neoliberalismus ist die Negation (Antithese) des kosmopolitischen Neoliberalismus. In seiner letzten Konsequenz würde der ideologisch moralisierende Anspruch des kosmopolitischen Neoliberalismus auf Weltdominanz zu einem dritten Weltkrieg führen, der eine nukleare Auseinandersetzung wahrscheinlich machen und das Ende der bisherigen menschlichen Zivilisation bedeuten würde. Ein dritter selbstzerstörerischer Weltkrieg kann nicht im Interesse des nationalistischen kommunitaristischen Neoliberalismus sein, der das Wohlergehen der eigenen Nation in den Mittelpunkt stellt („Amerika first“ oder „Germany first“).

Schlussbemerkung

Abschließend möchte ich betonen, dass Kriege immer moralisch begründet werden, auch wenn materielle Interessen die eigentliche Kriegsursache sind. Dort wo die Moral herrscht, ist der Krieg nicht weit! Der Moralismus basiert immer auf dem Kampf gegen das Böse. Das Gute muss über das Böse siegen! Im moralischen Kampf gegen das Böse kann die dem Menschen eigene Aggressionslust befriedigt werden, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. So fühlt sich der moralische Mensch gut, weil er im Kampf gegen das Böse seine Aggression ausleben kann. Eben deshalb ist der kosmopolitische Neoliberalismus so gefährlich: Er begründet sein imperiales Machstreben (private Aneignung weltweiter Rohstoffquellen durch Konzerne) moralisch und bezieht sich in seiner Begründung nicht wie in früheren Zeiten auf Gott und Vaterland, sondern auf die Menschenrechte.