Zurück auf ‚Start‘? Eine schwere Niederlage für Sahra Wagenknecht
Dabei schienen die Wahlergebnisse und die Wellen öffenlicher Aufmerksamkeit ihr recht zu geben. Noch vor den EU-Wahlen und noch zur Mitte des Jahres glaubte der BSW-Parteivorstand in resignierten sozialdemokratischen Strömungen für sich eine wichtige Unterstützergruppe entdeckt zu haben. Auch Restbestände von Aktiven aus der Linkspartei, die sich weltanschaulich ausreichend mit dem eher salbadernen Label „Vernunft und Gerechtigkeit“ zufrieden gaben und dies in einer Partei der Art politischer Agentur, stiessen sozusagen als Marketing pressure group zum BSW. Dann die für das BSW tatsächlich günstigen Wahlergebnisse in den Lantagswahlen im September.
Jetzt aber, da sich die regionalen Sprecher des BSW v.a. in Thüringen und Sachsen, mindestens teilweise als oppportunistische Luschen zugunsten der Altparteien erwiesen haben, stehen sowohl die politischen Paradigmen der Gründungsphase des BSW in Frage als auch das gesamte Parteiprojekt und wie es bis zu den Bundestagswahlen im nächsten Jahr organisiert werden sollte.
Denn da in Thüringen und Sachsen gehörte ja der auserwählte Kreis von BSW-Verantwortlichen zu jenen Protagonisten, welche dann das „Sondierungspapier“ für eine Koalition mit CDU und SPD verhandelt hatten. Die kann das BSW nicht so ohne weiteres außen vor lassen. Vielleicht ist es ja auch so, daß die gewollt mageren Mitgliederzahlen der Landesverbände gar keine Alternative erlauben. Dann aber bleibt nur noch das in frage stellen der Gründungsidee des BSW.
Das ganze Ausmaß der BSW-Krise und ihrer Fehltritte in den Landesverbänden wird aus meiner Sicht sehr gut von Norbert Häring beschrieben, der laut Selbstauskunft als „(noch) Unterstützer“ dieses Projekts in einem Beitrag bei apolut.net unter „Crashtest Thüringen: Sondierungspapier brockt BSW Glaubwürdigkeitsproblem ein“ einleitend schreibt:
„Wer die Wahlprogramme gelesen und die Positionen verfolgt hat, die Sahra Wagenknecht und andere BSW-Vertreter verfechten, der konnte sich bei dem Sondierungspapier, das die Thüringer BSW-Spitze mit CDU und SPD ausgehandelt hat, nur die Augen reiben. Die Fehlstelle in der Friedenspolitik, die Medien als entscheidenden und vermeintlich unsachlichen Grund für das Veto der Parteigründerin ausgemacht haben, ist dabei nur eine von vielen. (…)“
Und Häring bringt klar zum Ausdruck, daß das BSW in eine veritable Glaubwürdigkeitskrise gerutscht ist:
„(…) Das BSW hat bei seinen Wählern Erwartungen geschürt auf eine umfassende Corona-Aufarbeitung, spezielle Förderung des ländlichen Raums, weniger Meinungskontrolle und „Demokratieförderung“, eine Wende zur Vernunft in der Energiewende, eine Durchsetzung des Rechts in der Migrationspolitik und deutlich mehr sozialen Wohnungsbau. Nicht alles kann man in einer Koalition durchsetzen, das ist klar. Aber fast nichts davon ist im Positionspapier erkennbar. Pragmatismus ganz ohne Grundsätze wird zu Beliebigkeit und Selbstaufgabe.“
Kurz, es lohnt die Lektüre des gesamten Texts.
So ganz vollständig allerdings beschreibt auch Häring das BSW-Sündenregister nicht. Denn kaum trat der sächsische Landtag zusammen, stellte die dortige AfD-Fraktion den Antrag auf Einrichtung eines Corona-Untersuchungsausschusses. Ebensolches Ansinnen hatte auch die BSW-Fraktion. Bei der Landtagsabstimmung dazu enthielten sich aber vier Abgeordnete aus der BSW-Fraktion mit der ‚Begründung‘, der Antrag sei von der AfD gestellt worden!
Hatte nicht Frau Wagenknecht im Wahlkampf mitgeteilt, als BSW wolle man sich nicht an der Ausgrenzung der AfD beteiligen, weil dies die AfD noch stärker mache? (vgl. bei telegram unter t.me/freiesachsen vom 25.10.)
In einer anderen Wortmeldung äußerte der EU-Parlamentsabgeordnete des BSW Friedrich Pürner heftige Kritik an den Resultaten der Sondierungsarbeit der thüringischen und sächsischen BSW-Vertreter. In einem Beitrag für die Berliner Zeitung wird er zitiert mit: „Wir als neue politische Kraft haben es versäumt, unsere Akzente in diesem Papier zu setzen.“ (vgl. weiter hier).
Für uns Freidenker ergaben sich bei der Beurteilung des BSW in den letzten Monaten an einigen Stellen Probleme und starke Zweifel. Weder bei der Berliner Demo am 03.10. (hier und hier) noch bei dem Engagement des BSW zu den Landtagswahlen im September (hier und hier) konnten wir positive Hoffnungen in Richtung BSW bestätigen. Oder brauchen wir etwa noch eine weitere Altpartei?